Die ferne Fernbeziehungs-Angst

04.10.2018

Müsste ich eine Liste schreiben über die negativen Seiten einer ziemlich fernen Fernbeziehung könnte ich – je nach Tagesform – wahrscheinlich mehrere DinA4 Seiten füllen. Klar ist es bescheuert nicht Händchen haltend durch die Stadt schlendern zu können oder gemeinsam ins Kino zu gehen, ganz oben mit dabei stände auf meiner Liste allerdings etwas anderes: Die ferne Fernbeziehungs-Angst. Und damit meine ich nicht die Angst vor einem möglichen Fremdgehen oder sonstigen Dingen, die Fernbeziehungen oft nachgesagt werden.


Als der Lieblingsjapaner und ich noch zusammen in Norwegen gelebt haben, gab es einen Tag an dem der sonst so soziale Mitbewohner plötzlich nicht mehr von seinem Handybildschirm zu lösen war. Der Grund: Zuhause in Japan gab es ein relativ starkes Erdbeben, Updates trafen beinahe im Minutentakt in der Familiengruppe des Lieblingsjapaners ein. Nach meiner Logik hatte der Lieblingsjapaner Glück, in diesem Moment nicht in Japan sein zu müssen, er sah das allerdings anders, er wäre viel lieber – trotz gefährlichem Beben – bei seiner Familie, um direkt sehen zu können wie es allen geht. Diesen Gedankengang konnte ich in dem Moment nicht so richtig nachvollziehen, mittlerweile ist das anders.

 

Denn der wohl schwierigste Punkt in einer Fernbeziehung für mich ist, nicht bei dem Anderen sein zu können wenn etwas passiert ist, keinen Tee kochen zu können, wenn er krank ist und ihn nicht in den Arm nehmen zu können, wenn der Unistress zu viel wird. Dem Gegenüber einfach nur durch den Computerbildschirm hindurch ein paar nette Worte zukommen lassen zu können ist in solchen Momenten wirklich extrem unbefriedigend.

Vor ein paar Tagen zum Beispiel ist Taifun „Trami“ über ganz Japan gefegt und hat eine breite Schneise mit zerbrochenen Fenstern, umgeworfenen Autos und verletzten Menschen hinterlassen. Plötzlich blinkte eine Nachricht des Lieblingsjapaners, der sonst nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen ist, auf meinem Handy auf: „Meine Fenster wackeln so laut, der Taifun ist gruselig“ Und so furchtbar es sein muss in einer solchen Nacht in einem kleinen Zimmer zu schlafen, bei der man den Rat sich nicht zu nah an Fenstern aufzuhalten schon allein aus Platzgründen nicht befolgen kann, so unglaublich gerne wäre ich genau dann in diesem kleinen Zimmer bei meinem Lieblingsjapaner gewesen. Mittlerweile kann ich viel zu gut nachvollziehen was der Lieblingsjapaner damals in Norwegen meinte.

 

Gestern haben der Lieblingsjapaner und ich telefoniert. Ein paar Minuten im Gespräch höre ich das Handy des Lieblingsjapaners wie wild vibrieren, ich wundere mich schon warum er so spät abends noch einen Anruf bekommt? Plötzlich ruft der Lieblingsjapaner nur etwas von Alarm und starkem Erdbeben, seine Stimme ist auf einmal weit vom Telefon entfernt. Nach ein paar Sekunden kommt die Entwarnung, war wohl ein zu stark eingeschätztes leichtes Seebeben, ein Falschalarm. Mein Herz fängt langsam wieder an normal zu schlagen, die Schockstarre löst sich.

Dieses Mal war es nur ein Falschalarm. 


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