Der Tag, an dem ich mich mit den Nachbarn betrank

10.08.2018

Kennt ihr das, wenn man sich auf einmal in einer Situation wieder findet, bei der man sich fragt: „Wie um alles in der Welt bin ich hier gelandet?!“ – wobei das nicht unbedingt im negativen Sinne gemeint sein muss. Manche Situationen sind einfach so abstrus, dass man sich schon währenddessen auf die verdutzten Gesichter freut, wenn man die ganze Geschichte beim nächsten Familienmittagessen auspacken wird. (In diesem Zusammenhang ein kleiner Gruß an die allerbeste Melina, in ewiger Erinnerung an die Autofahrt mit Widder im Kofferraum)

Zwar waren keine ausgewachsenen Widder involviert, abstrus-lustig war er aber trotzdem – der Tag, an dem ich mich mit den Nachbarn betrank.

 

Vielleicht erinnert ihr euch, im letzten Sommer habe ich eine Woche allein bei der Lieblingsjapanermama verbracht, wurde rund gefüttert und im Auto zu allen verfügbaren Touristenattraktionen der Region kutschiert. Und eben auch allen erdenklichen Verwandten, Freunden und Bekannten vorgestellt. Die Kinder der Cousine mussten mit mir Englisch üben, Erinnerungsfotos mit der Arbeitskollegin wurden geknipst und die Nachbarin brachte Massen an japanischem Essen vorbei um mich im Ort willkommen zu heißen. Der Lieblingsjapaner klärte mich auf, dass es wohl normaler Brauch zwischen befreundeten Nachbarn ist, sich zu besonderen Gelegenheiten gegenseitig mit Essen zu beschenken – sei es wenn der Nachbar mit Grippe im Bett liegt oder eben wenn Besuch von Übersee angereist ist. Nur zum gemeinsamen Essen bleiben die Nachbarn nicht. Ein Gruß, eine Verbeugung und schon sind die Nachbarn normalerweise wieder in ihrem Haus verschwunden. Zurück bleibt eine Dose voll Reisbällchen und japanischem Omelett. Aber letzten Sommer war es ein bisschen anders. Zu meiner Überraschung eröffnete mir die Lieblingsjapanermama auf einmal, dass wir zum Abendessen eingeladen wurden – in das Haus der Nachbarn! Noch nicht mal der Lieblingsjapaner war je im Haus der Nachbarn. Völlig verdutzt kramte ich meinen konservativsten Pulli aus dem Rucksack, steckte die in weiser Voraussicht mitgebrachte deutsche Schokolade als Gastgeschenk ein und machte mich zusammen mit der Lieblingsjapanermama auf zu den Nachbarn. Innerlich zitternd aus Angst mit verschütteter Sojasauce oder schlechtem Japanisch alle Beteiligten zu blamieren.

Glücklicherweise (oder vielleicht auch logischerweise?) war diese Angst völlig unbegründet. Im Haus angekommen wurde ich schier überhäuft mit (speziell für mich vegetarischen!!!) japanischen Köstlichkeiten, japanischem Sake und (meinem Favoriten) Umeshu, einem süß-herben Aprikosen-Likör. Der Herr Nachbar zeigte mir stolz irgendein Buch irgendeines Deutschen der irgendwann mal in seiner Firma gearbeitet hat und die Frau Nachbarin präsentierte strahlend ihre selbstgenähten Werke. Dazwischen wurde gelacht, wild gestikulierend jegliche Sprachbarrieren zunichte gemacht und regelmäßig nachgeschenkt (wohl auch ein Grund für die schwindende Sprachbarriere).

Zu später Stunde stimmte dann der Herr Nachbar plötzlich in bester Altherren-Chor-Stimme den Klassiker „Sah ein Knab ein Röslein stehn“ an – und genau das war der Moment---

dieser Moment in dem man gar nicht richtig fassen kann, wie man dort hineingeraten ist. Ich saß lauthals lachend an einem Tisch mit vier angetrunkenen Japanern im Alter 50/60+ in einem kleinen Kaff irgendwo in Mitten der japanischen Alpen und lauschte dem Hausherren bei seinem Vortrag deutscher Volkslieder. Und das verrückteste war wohl – eigentlich wollte ich in dem Moment auch nirgends anders sein.

 

Wenn ich im Dezember nach Japan fliege freue ich mich auf viele Dinge – Zusammenleben mit dem Lieblingsjapaner, japanisches Streetfood, mein Praktikum – und auf die Nachbarn. Auf die freue ich mich total :) 


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